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  • Anette Frisch

Diättripps und Fastentage

Aktualisiert: 5. Mai 2022

Meine Zufallsbekanntschaft hatte Liebeskummer - dann entdeckte sie das Schwimmen.


Ich traf Jacqueline irgendwann im Herbst 2017 in der Umkleide im Rheinbad Düsseldorf. Etwas später sollte sich herausstellen, dass sie gerade eine Pause vom Toten Hosen Konzert machte, die an diesem Wochenende gleich mehrmals auftraten. Als ich meinen Bikini anzog, sah sie interessiert zu mir rüber und sagte: „Hey, der ist ja von Decathlon! Die Sachen sind super, die halten am längsten. Ich bin absoluter Fan von Decathlon!“


Die Selbstverständlichkeit, mit der sie mich ansprach und die Freude darüber, dass ich etwas trug, was sie toll fand, erinnerte mich an eine Zeit, als das Tragen gleicher Klamotten wahre Freundschaft bewies. Jacqueline hatte recht. In meinem Schwimmerinnenleben habe ich viele Badeanzüge und Bikinis verschlissen. Und die von Decathlon hielten wirklich länger als die von Speedo oder Arena. Gleichzeitig war mir dieses Partnerinnen-in-crime-Ding in Sachen Decathlon auch ein wenig unangenehm. Es ist klar, dass die Sachen unter den miesesten Umständen produziert werden. Aber Moral und Gewissen spielten an diesem Mittag eine untergeordnete Rolle. Unsere spontan entstandene Sympathie füreinander baute auf einer vermeintlich nebensächlichen Gemeinsamkeit auf: Dem Sportbikini von Decathlon.


Jacqeline schwimmt wegen Corona derzeit im See. © privat

„Mit 15 hatte ich einen Freund, der mich auf einer Party abfüllte, nur um mit einer meiner Freundinnen rumzumachen. Der wollte mich auch femininer haben und mich ein bisschen nach seinem Bild modellieren. So püppchenmäßig. In der Schule hatte ich den Spitznamen „Kurt“ von Kurt Cobain. Ich war links alternativ, hab' schwarzen Lippenstift getragen, zerrissene Jeans. Ich war eher so eine Wilde, zwischen Punk und Grunge. Das war dem wohl irgendwann zu viel. Als ich 16 war, hat er mich abserviert und mir eine offene Beziehung vorgeschlagen. Und obwohl der so ein Idiot war, war ich völlig fertig. Die Freundin, die er angegraben hatte, war dann letztlich die, die mich mit zum Schwimmen genommen hat.


Cora war damals auf einem Diät-Trip. Machte Fastentage und viel Sport. Sie hat mich zu ihren Schwimmtrainings mitgeschleppt. Das erste Mal standen gleich 1.500 Meter auf ihrem Plan. Das sind bei einem 50 Meter-Becken 30 Bahnen. Ich bin nach 1.000 Metern ausgestiegen und habe gesagt: „Cora, ganz ehrlich, ich bin noch nie so viel geschwommen!“ Und sie: „Das machen wir jetzt jeden Tag!" Erst vor kurzem hat sie mir erzählt, dass sich die 1.500 Meter eigentlich auf eine Joggingstrecke bezogen. Das hatte sie verwechselt.


Wasser ist mein Element. Als Kind habe ich regelmäßig Baywatch geguckt. Da war für mich klar, dass ich auf jeden Fall schwimmen lernen möchte. Außerdem bin ich eine Wassergeburt. Meine Mutter hat mir erzählt, dass ich als Baby den Ausgang nicht gefunden habe und sie die Hebamme dann in die Badewanne gesteckt hat. Ab da hatte ich es ziemlich eilig. Ich glaube, dass der Grund, warum ich Wasser so liebe, irgendwie damit zusammenhängt.



Schwimm-Ticket aus ihrer Zeit in Frankreich. © privat

Ich gehe fast jeden Tag schwimmen, außer dienstags, da mache ich Stepptanz. Durchschnittlich schwimme ich 1.500 Meter, am Wochenende auch schon mal 3.000 bis 4.000. Da gebe ich mir so richtig die Kante. Erst Ballett, dann Stepptanz und danach schwimmen.


Wenn ich verreise, gucke ich immer, wo ich schwimmen gehen kann. Sonst fahre ich gar nicht erst los. Das habe ich auch beim Studium gemacht. Ich bin eine Woche vor Beginn nach Marburg gefahren, hab' geguckt, wo ich schwimmen gehen kann, und bin dann die Wege zur Uni abgelaufen, um zu sehen, wie lange ich brauche. Auch bei meinem Auslandssemester war das so. Ich habe in Châtenay-Malabry gewohnt, in der Nähe von Sceaux, einem Vorort von Paris. Meine erste Frage an meine Kommilitonen war, wo ich schwimmen gehen kann. Das Bad befand sich gleich gegenüber der Uni. Das war super praktisch. In meiner Mittagspause stand ich vor der Entscheidung: Gehe ich essen oder schwimmen? Meistens war ich schwimmen und hab' dann in der Mensa die Reste bekommen, oft umsonst.


Schwimmen ist meine absolute Freiheit. Ich fühle mich bei keinem Sport im Kopf und überhaupt sooo frei. Ich habe meine Ruhe und bin losgelöst von allem. Während ich meine Bahnen ziehe, gehe ich meinen Tagesablauf durch. Alle wichtigen Entscheidungen, die ich bisher getroffen habe, habe ich im Wasser getroffen.


Wenn ich beim Zählen der Bahnen durcheinander gekommen bin, nehme ich einfach die Zahl, an die ich mich erinnere. Manchmal bin ich aber so im Fluss, da vergesse ich zu zählen. Dann schwimme ich einfach. Das ist das Nonplusultra, wenn ich die meditative Ebene erreiche, wenn ich an gar nichts mehr denke. Das finde ich am besten. Das passiert aber relativ selten.

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